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Erich Kästner
Ausgewählte Gedichte


Moral
 

Sachliche Romanze                               
 

Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?
 

Fantasie von Übermorgen
 

Sogenannte Klassefrauen
 

Der Handstand auf der Loreley


Moral

Es gibt nichts Gutes
außer: Man tut es.


Sachliche Romanze

Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen, sie kannten sich gut),

kam ihre Liebe plötzlich abhanden.

Wie anderen Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,

und sahen sich an und wußten nicht weiter.

Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier

und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.

Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.

Am Abend saßen sie immer noch dort.

Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort

und konnten es einfach nicht fassen.


Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?

Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?
Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!

Dort stehn die Prokuristen stolz und kühn

in den Büros, als wären es Kasernen.

Dort wachsen unterm Schlips Gefreitenknöpfe.
Und unsichtbare Helme trägt man dort.

Gesichter hat man dort, doch keine Köpfe.

Und wer zu Bett geht, pflanzt sich auch schon fort.

Wenn dort ein Vorgesetzter etwas will
- und es ist sein Beruf etwas zu wollen -

steht der Verstand erst stramm und zweitens still.

Die Augen rechts! Und mit dem Rückgrat rollen!

Die Kinder kommen dort mit kleinen Sporen
und mit gezognem Scheitel auf die Welt.

Dort wird man nicht als Zivilist geboren.

Dort wird befördert, wer die Schnauze hält.

Kennst Du das Land? Es könnte glücklich sein.
Es könnte glücklich sein und glücklich machen!

Dort gibt es Äcker, Kohle, Stahl und Stein

und Fleiß und Kraft und andre schöne Sachen.

Selbst Geist und Güte gibt's dort dann und wann!
Und wahres Heldentum. Doch nicht bei vielen.

Dort steckt ein Kind in jedem zweiten Mann.

Das will mit Bleisoldaten spielen.

Dort reift die Freiheit nicht. Dort bleibt sie grün.
Was man auch baut, - es werden stets Kasernen.

Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?

Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!


Fantasie von Übermorgen

Und als der nächste Krieg begann,
da sagten die Frauen: Nein!

und schlossen Bruder, Sohn und Mann

fest in der Wohnung ein.

Dann zogen sie in jedem Land,
wohl vor des Hauptmanns Haus

und hielten Stöcke in der Hand

und holten die Kerle heraus.

Sie legten jeden übers Knie,
der diesen Krieg befahl:

die Herren der Bank und Industrie,

den Minister und General.

Da brach so mancher Stock entzwei.
Und manches Großmaul schwieg.

In allen Ländern gab's Geschrei,

und nirgends gab es Krieg.

Die Frauen gingen dann wieder nach Haus,
zum Bruder und Sohn und Mann,

und sagten ihnen, der Krieg sei aus!

Die Männer starrten zum Fenster hinaus

und sahen die Frauen nicht an...


Sogenannte Klassefrauen

Sind sie nicht pfui teuflisch anzuschauen?
Plötzlich färben sich die "Klassefrauen",

weil es Mode ist, die Nägel rot!

Wenn es Mode wird, sie abzukauen

oder mit dem Hammer blauzuhauen

tun sie's auch. Und freuen sich halbtot.

Wenn es Mode wird, die Brust zu färben
oder, falls man die nicht hat, den Bauch...

Wenn es Mode wird, als Kind zu sterben

oder sich die Hände gelbzugerben,

bis sie Handschuhn ähneln, tun sie's auch.

Wenn es Mode wird, sich schwarzzuschmieren...
Wenn verrückte Gänse in Paris

sich die Haut wie Chinakrepp plissieren...

Wenn es Mode wird, auf allen Vieren

durch die Stadt zu kriechen, machen sie's.

Wenn es gälte, Volapük zu lernen
und die Nasenlöcher zuzunähn

und die Schädeldecke zu entfernen

und das Bein zu heben an Laternen -

morgen könnten wir's bei ihnen sehn.

Denn sie fliegen wie mit Engelsflügeln
immer auf den ersten besten Mist.

Selbst das Schienbein würden sie sich bügeln!

Und sie sind auf keine Art zu zügeln,

wenn sie hören, daß was Mode ist.

Wenn's doch Mode würde, zu verblöden!
Denn in dieser Hinsicht sind sie groß.

Wenn's doch Mode würde, diesen Kröten

jede Öffnung einzeln zuzulöten!

Denn dann wären wir sie endlich los.


Der Handstand auf der Loreley
(nach einer wahren Begebenheit)

Die Loreley, bekannt als Fee und Felsen,
ist jener Fleck am Rhein, nicht weit von Bingen,

wo früher Schiffer mit verdrehten Hälsen,

von blonden Haaren schwärmend untergingen.

Wir wandeln uns. Die Schiffer inbegriffen.
Der Rhein ist reguliert und eingedämmt.

Die Zeit vergeht. Man stirbt nicht mehr beim Schiffen,

bloß weil ein blondes Weib sich dauernd kämmt.

Nichtsdestotrotz geschieht auch heutzutage
noch manches, was der Steinzeit ähnlich sieht.

So alt ist keine deutsche Heldensage,

daß sie nicht doch noch Helden nach sich zieht.

Erst neulich machte auf der Loreley
hoch überm Rhein ein Turner einen Handstand!

Von allen Dampfern tönte Angstgeschrei,

als er kopfüber oben auf der Wand stand.

Er stand, als ob er auf dem Barren stünde.
Mit hohlem Kreuz. Und lustbetonten Zügen.

Man frage nicht: Was hatte er für Gründe?

Er war ein Held. Das dürfte wohl genügen.

Er stand, verkehrt, im Abendsonnenscheine.
Da trübte Wehmut seinen Turnerblick.

Er dachte an die Loreley von Heine.

Und stürzte ab. Und brach sich das Genick.

Er starb als Held. Man muß ihn nicht beweinen.
Sein Handstand war vom Schicksal überstrahlt.

Ein Augenblick mit zwei gehobnen Beinen

ist nicht zu teuer mit dem Tod bezahlt.

P.S. Eins wäre allerdings noch nachzutragen:
Der Turner hinterließ uns Frau und Kind.

Hinwiederum, man soll sie nicht beklagen.

Weil im Bezirk der Helden und der Sagen

die Überlebenden nicht wichtig sind.



Die Gedichte sind allesamt nach meinem eigenen
Gusto ausgewählt, deshalb bin ich immer offen

für Kritik und Vorschläge.

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dann seht doch hinter die Kulissen seiner Biographie!

 


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Letzte Überarbeitung: 10.02.2001
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