Das
Entstehen eines Weltmarkts und die "Globalisierung" waren im Jahre 1848
schon erkennbar.
Es lohnt sich eine kleine Zitatenlese aus dem "Kommunistischen Manifest"
von
Marx und Engels:
"Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre
Produkte jagt die
Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. (...) Die uralten nationalen
Industrien werden
verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage
für alle zivi-
lisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische
Rohstoffe,
sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und
deren
Fabrikate nicht nur im Lande selbst sondern in allen Weltteilen zugleich
verbraucht
werden."
"Die Bourgeoisie reißt (...) durch die unendlich erleichterte Kommunikation
auch die
barbarischsten Nationen in die Zivilisation."
Soweit Marx und Engels.
Allerdings wissen wir, dass diese scharfsinnige Analyse Bestandteil eines
der repressivsten Systeme der Weltgeschichte wurde. Wo steckt also das
Falsche im
Richtigen ? Welche Munition ist in ihren Texten versteckt, die für
den späteren Gebrauch durch
linkstotalitäre Ideologen geeignet war ?
Auffällig ist
die militärische Färbung des Wortschatzes von Marx und Engels.
Die Kräfte des Marktes
sehen sie als Waffen, mit denen überständige Verhältnisse
wie Festungsmauern zerschossen
werden. Die Herstellung neuer Produktionsverhältnisse" verstehen sie
als gigantischen Akt der Mobilmachung.
Mit dem Selbstverständnis
der "Bourgeoisie" hatte dies gar nichts gemein: Deren Ziel war
gerade
die Verbannung von Gewalt aus dem öffentlichen Leben, äußerer
Friede, das Eindämmen von Militär und Bürokratie, Freiheit
von obrigkeitsstaatlicher Gänge- lung des Geistes. Das entsprach ihren
Interessen. Grundlage der Marktverfassung ist der Marktfriede.
Marx und Engels
aber zeichnen ein Bild eines militärischen Oberkommandos, in dem
die einzelnen Wirtschaftszweige
als Teilarmeen fungieren. "Arbeitermassen, in der Fabrik
zusammengedrängt,
werden soldatisch organisiert. Sie werden als Industrie- soldaten unter
die
Aufsicht einer vollständigen Hierarchie von Unteroffizieren und Offizieren
gestellt."
Das hat wenig mit
dem tatsächlichen Verlauf der industriellen Revolution zu tun - dafür
drängt sich
der Vergleich mit dem Aufbau der sowjetischen Industrie geradezu auf.
Marx und Engels glänzten
durch die Denunziation aller Gemäßigten. Die Revolution musste
für
sie nach dem Schema der Französischen Revolution ablaufen und am Ende
die radikalste Partei - ihre Partei - an die Macht bringen. Mittel dazu
war der Vernichtungskrieg
gegen
konterrevolutionäre Klassen und Völker.
Das qualitativ Neue
einer Gesellschaft, die das Recht des Stärkeren ersetzt durch eine
Kultur
des Tausches und einer diskutierenden Öffentlichkeit, blieb ihnen
fremd. Der das
ganze
19. Jahrhundert beherrschende Diskurs, wie Gewalt zu bändigen sei
und eine
zivile
Ordnung herzustellen sei, schien ihnen Heuchelei.
Dies kennzeichnet
1848 und 1849 durchgehen die Politik der Neuen Rheinischen Zeitung (NRZ),
des
"Organs der Demokratie". Für Marx und Engels, die beiden Chefs, ist
klar: Ihre Vorstellung
von "Demokratie" wird sich nur in "Weltkriegen" verwirklichen lassen.
Fix- und Angelpunkt
ist die leidenschaftliche Propaganda eines revolutionären Krieges
gegen
Russland, dessen Zarentum der Hort der "Reaktion" ist. Man hat in der Dauerpolemik
der NRZ gegen Russland und slawische Völker einen heimlichen
Nationalismus
gelesen,
doch die Quelle dieses Hasses ist eine andere.
Die NRZ schoss
sich auf die Tschechen, Slowaken und Ruthenen (Ukrainer) ein, deren
Bauernbevölkerung
ihren Grundherren mehr traute als ihren Demokraten.
Während im
Juni 1848 noch den Tschechen das Zertifikat "sozialrevolutionär" zugestanden
wird, wandelt sich das Urteil im Laufe des Sommers. Als im Herbst kroatische,
ruthenische und tschechische Regimenter gegen die ungarischen und Wiener
Aufständischen vorgehen,
wird die NRZ-Redaktion feindselig.
Engels kann selbst
an den demokratischen Kräften unter den Tschechen nur "Schurken
oder
Phantasten" erkennen. Als der Wiener Oktoberaufstand niederge- schlagen
wird, schwindet
jede Zurückhaltung. Die Korrespondenten der NRZ aus Wien, namentlich
der rassistische
Müller-Tellering, titulieren die kleinen slawischen Völker nur
noch als "tierisch-blödsinnige Slaven", "blödsinnige Slavenesel",
"nieder- trächtige Hunde von Slaven und
Ruthenen", "Tschechenhunde" und "Kroaten- abschaum".
Im Februar 1849
legt Müller-Tellering antisemitisch nach: "Man fühlt in Österreich
im
ganzen Volke, dass
das Judenvolk dort die niederträchtigste Sorte von Bourgeoisie
und den gemeinsten
Schacher repräsentiert, darin liegt die ganze Antipathie gegen
das Judengesindel."
Die Chefredakteure
in Köln deckten all das. Marx selber schrieb Ende des Jahres in
einem Leitartikel:
"In Wien erwürgten Kroaten, Panduren, Tschechen, Sereschaner (eine
aus
Südslawen gebildete Heerestruppe) und ähnliches Lumpengesindel
die germanische
Freiheit."
Wer dies als typisch
für den damaligen Stil streitbarer Publizistik herunterspielt, der
unterschätzt den nach Systematisierung (!) drängenden Geist der
Väter des Marxismus. Sie zaubert
en aus dem Hut eine Theorie der "Völkerabfälle", dem Untergang
geweiht. "Der nächste
Weltkrieg wird nicht nur reaktionäre Klassen und Dynastien, er wird
auch ganze reaktionäre
Völker vom Erdboden verschwinden machen. Und das ist auch ein Fortschritt",
schreibt
Engels.
Deshalb fordert
er einen "unerbittlichen Kampf auf Leben und Tod mit dem revolutions-
verräterischem
Slaventum; Vernichtungskampf und rücksichtslosen Terrorismus. (...)
Auf die sentimentalen
Brüderschaftsphrasen (...) antworten wir: daß der Russenhaß
die erste
revolutionäre Leidenschaft bei den Deutschen war und noch ist; daß
seit der Revolution der Tschechen- und Kroatenhaß hinzugekommen ist."
Engels hatte nichts
übrig für den Anarchisten Bakunin und seine Parteinahme für
die Südslawen, die unter dem Joch der ungarischen Revolutionsregierung
standen. Die Ungarn seien im Gegenteil viel zu nachgiebig gegenüber
den Kroaten, das sei konter- revolutionär.
Für die beiden
Revolutionstheoretiker ist das Slawentum - mit Ausnahme der Polen - eine
einzige "Vendée" (in der Französischen Revolution lehnten sich
Bauern aus der Vendée gegen das jakobinische Regime auf). Nach dem
Vorbild der Jakobiner müsse man die Slawen mit Feuer und Schwert austilgen.
Marx und Engels
meinten nicht unbedingt die physische Ausrottung, sondern "nur" die terroristische
Unterdrückung der Nationalbewegungen und des Panslawismus. Sie unterschieden
zwischen fortschrittlichen Nationen, die ein Lebensrecht haben und "geschichtslosen"
Völkern, die nur die Knute verdienen.
Inwieweit sie damit
der Legitimation der Ausrottung ganzer Nationalitäten in kom- munistischen
Diktaturen vorgearbeitet haben, ist eine interessante Frage. Stalin, Mao
Tse-Tung, Pol Pot und Mengistu haben "konterrevolutionäre" Klassen
und Völker liquidiert, ohne sich im Einzelnen auf Marx zu berufen.
Ihr kriegerisches
Verständnis der gesellschaftlichen Entwicklung hinderte Marx und Engels
daran, die bürgerliche Zivilgesellschaft zu begreifen. Sie übersahen,
dass das Freihandelsinteresse von britischen Manchester-Industriellen durchaus
korrespondierte mit linksliberalen Prinzipien, internationalen Friedensbestrebungen
und dem Willen zu sozialen und politischen Reformen. Für sie
war das allenfalls die sentimentale Bemäntelung eines reinen
Profitinteresses. (Heute steht die amerikanische Politik bei der
europäischen Linken unter einem ähnlichen ideologischen Verdacht.)
In fast allen Äusserungen
über die Mächte des 19. Jahrhunderts bleibt von Marxens Klarsicht
in Sachen Weltmarkt wenig übrig. Statt dessen regieren Gewaltphantasien,
die sich mit Versatzstücken aus Hegels Volksgeistlehre tarnen, wonach
sich jede höhere zivilisatorische Stufe in einer konkreten Nation
verkörpere.
Der Hegelianismus
offenbart sich in späteren Jahren noch deutlicher in Engels' Polemik
gegen Bakunin, dessen Beharren auf dem Lebensrecht der slawischen Bauernvölker
gegen die Germanisierung mit Hohn bedacht wird:
Es sei ein Verbrechen,
"daß die Deutschen und Magyaren zu der Zeit, als in Europa die großen
Monarchien eine 'historische Notwendigkeit' wurden, alle diese kleinen,
verkrüppelten Natiönchen zu einem großen Reich zusammenschlugen
und sie dadurch befähigten, an einer geschichtlichen Entwicklung teilzunehmen,
der sie, sich überlassen gänzlich fremd geblieben wären.
Freilich, dergleichen läßt sich nicht durchsetzen, ohne manch
sanftes Nationalblümchen gewaltsam zu zerknicken. Aber ohne Gewalt
und eherne Rücksichtslosigkeit wird nichts durchgesetzt in der Geschichte."
An anderer Stelle
statuiert Engels das Urteil: "Die ganze frühere Geschichte Öster-
reichs beweist es bis auf den heutigen Tag, und das Jahr 1848 hat es bestätigt:
Unter allen Natiönchen Österreichs sind nur drei, die aktiv in
die Geschichte eingegriffen haben, die noch jetzt lebensfähig sind
- die Deutschen, die Polen, die Magyaren. Daher sind sie jetzt revolutionär.
Alle anderen kleinen Stämme und Völker haben zunächst die
Mission, im revolutionären Weltsturm unterzugehen."
1851 holt Engels
in einem Brief an Marx die letzte slawische Nation aus seinem Pantheon:
"Die Polen haben nie etwas anderes in der Geschichte getan, als tapfre,
krakeelsüchtige Dummheit gespielt. Auch nicht ein einziger Moment
ist anzugeben, wo Polen (...) den Fortschritt mit Erfolg repräsentierte
oder irgendetwas von historischer Bedeutung tat."
In alldem zeigt sich
- gegen das bürgerliche Prinzip der Gewaltenteilung und -begrenzung
- das alte absolutistische Prinzip, wonach Opposition gegen den Herrscher
ein Verbrechen ist. Im Zentrum der kapitalistischen Welt, in Großbritannien,
hatte sich längst eine neue politische Kultur und ein liberaler Rechtsstaat
heraus-
gebildet. Nutznießer
waren die geschlagenen Revolutionäre des Kontinents von Mazzini bis
Kossuth, von Marx bis Engels. Sie wussten ihr sicheres Exil zu schätzen.
Im Herzen der Weltbourgeoisie
war durch kluge Reformen der Ausbruch einer Revolution verhindert worden.
Der freie Wettbewerb wurde abgesichert durch den legitimen Wettbewerb im
politischen Bereich. Der spätere Tory-Premierminister
Disraeli lobte 1845
die "gesunde und heilsame Kontrolle durch eine verfassungs-
mäßige
Opposition". Die Wahlrechtsreformen, die Abschaffung der Schutzzölle,
die Fabrikgesetzgebung, die Ächtung der Sklaverei wurden nicht "auf
dem Schlachtfeld" erkämpft, sondern von wechselnden Koalitionen der
Vernunft, von fortschrittlichen Aristokraten, Kirchenleuten, gemäßigten
Arbeiterführern und realitätstüchtigen Industriellen.
Und: Es waren englische
"Bourgeois", die neben Amerikanern und Schweizern zum Motor einer Weltfriedensbewegung
wurden. Der Dritte Weltfriedenskongress wurde 1850 in der Frankfurter Paulskirche
abgehalten, in einer Zeit, als Revolutionäre noch imaginäre Armeen
über ein phantasiertes Weltkriegsschlachtfeld schoben. |